Weihnachtsbrief des Bischofs Grigorije

Christus ist geboren liebe Brüder und Schwestern!

Ein schweres, schmerzhaftes und ungewöhnliches Jahr neigt sich dem Ende zu. Ein Jahr, das so niemand erwartet und noch weniger herbeigewünscht hat. Dennoch: Weihnachten ist für uns Christen immer ein neuer Anfang, eine neue Hoffnung. Deshalb sollten wir jetzt aufmerksam auf die vergangene Periode zurückblicken und uns fragen: Welche Erfahrungen haben wir gemacht und was können wir daraus lernen?

Lasst uns damit beginnen, dass wir festhalten, wie schön das Leben und wie schrecklich der Tod ist – trotz allem. Erst vor kurzem sprach ich mit meiner schwer kranken Mutter. Ich bat sie, uns – also ihren Kindern und Enkelkindern – am Ende ihres Lebens etwas als Lehre mitzugeben. Sie antwortete: „Das wichtigste ist Liebe!“ Darauf fragte ich sie: „Was ist das – Liebe?“ Sie sah jeden einzelnen von uns an. Wir waren versammelt an ihrem Krankenbett. „Liebe ist, wenn wir zusammen am Tisch sitzen und zu Abend essen“.

Ich habe im Leben noch nie eine klarere Antwort auf diese, mit Sicherheit häufig gestellte Frage bekommen. Gemeinsam zu Abend essen und in Liebe versammelt sein – das ist Weihnachten. Ich glaube, liebe Brüder und Schwestern in Christus, dass Ihr wisst, wovon ich rede. Deshalb müssen wir aufeinander achtgeben. Was wir zu uns nehmen – das soll lebendig machen, Freude bereiten. Es soll nicht das Gegenteil bewirken: Trauer und Machtlosigkeit, Gericht oder Verdammnis. Die abendliche Gemeinschaft soll uns stärken, so wie es nur die Liebe vermag, die Liebe Christi.

Bedenken wir Christen die Gebote des Herrn, dessen Geburt wir Weihnachten feiern. Er hat uns daran erinnert, dass wir den Nächsten lieben sollen wie uns selbst. Wir müssen also auf unseren Nächsten achtgeben, ihn nicht in Gefahr bringen. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter lehrt uns, wer unser Nächster ist: jeder, der unsere Hilfe benötigt. Wir sind es gerade hilfsbedürftigen Menschen schuldig, ihre Nächsten zu sein. Deshalb ist es verantwortungslos, die von Ärzten empfohlenen Sicherheitsmaßnahmen zu missachten. Wer das dennoch tut, handelt leichtfertig und vollkommen unangemessen. Solch ein Handeln lässt sich auch nicht mit dem eigenen Glauben rechtfertigen. Schließlich geht es hierbei nicht um das ICH. Es geht nicht darum, wie mutig ICH bin, wie groß MEIN Glaube und MEINE Überzeugung sind. Gott ist nicht verpflichtet, mich vor allem Bösen – also auch dem Virus – zu schützen; besonders dann nicht, wenn ich mich unvernünftig verhalte. Wenn wir tatsächlich Christen sind, oder es sein wollen, dann darf die Akzentuierung in unserem Denken und Verhalten nicht auf unserem (egoistischen) „ICH“ liegen. Im Gegenteil. Wir müssen alles tun, um andere – absichtlich oder unabsichtlich – nicht in Gefahr zu bringen, schon gar nicht kranke oder ältere Menschen.

Gefühllosigkeit und Selbstsucht kann in Zeiten der Pandemie zu fürchterlichem menschlichem Leiden führen. Wir Christen dürfen nicht verzweifeln, wir sollen immer hoffen. Hoffnung macht uns etwa die grenzenlose Opferbereitschaft, die Güte und der Mut der Ärzte und Pfleger. Wie erhaben ist ihr Dienst, wie aufopfernd ihre Liebe. Sie leben vor, was uns Christus gelehrt hat: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!“ (Mt 7, 16). Wir sollen auf die Ärzte hören, auf ihren fachmännischen Rat. Die Mediziner appellieren, auf alles zu verzichten, was die ohnehin schwierige Situation noch verschlimmern könnte. Dennoch lehnen einige Menschen deren Rat bewusst ab. Sie geben vor, mutig zu sein, brüsten sich mit ihrem Glauben. Manchmal sind sogar Priester unter ihnen. Das erwähnte kürzlich Patriarch Kyrill anlässlich einer Internetkonferenz des Synods der russischen Kirche. Einige Menschen gehen sogar so weit und leugnen die Existenz des Virus. Das hat schreckliche Folgen auch für Ordensbrüder und Bischöfe. Viele von ihnen starben an den Folgen der Pandemie.

Die besten Priester und Theologen warnten vor Corona. Sie rufen dazu auf, achtsam und fürsorglich zu sein. Nicht so wie einige, die so selbstsicher auftreten, als wüssten sie alles; wie jene, die verharmlosen, die über Menschenschicksale sprechen, als ob es Nummern wären. Während sie das tun, zeigen sie ihren Mut ausschließlich mit Worten. Keiner von ihnen betrat je eine Ambulanz oder ein Krankenhaus mit Covid-Patienten, um dort Mut und seine Mit-Menschlichkeit durch Taten unter Beweis zu stellen.

Keiner von uns weiß, was die Zukunft bringt. Keiner von uns kann mit Sicherheit sagen, ob das Virus auf natürlichem Wege entstand oder in einem Labor. Keiner von uns weiß, ob bestimmte Machtzentren ein Interesse haben an dieser Pandemie. Das Gebot der Nächstenliebe gilt ganz unabhängig davon. Es gilt immer, unter allen Umständen. Wir dürfen nicht vergessen, unseren Nächsten zu lieben, auf ihn zu achten. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Gefühllosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen breitmachen.

Wir wissen: Vielen Menschen fällt es schwer, sich an die Vorsichtsmaßnahmen zu halten. Das gilt besonders für ältere, kraftlose oder alleinlebende Menschen. Sie sind keineswegs egoistisch oder anderen gegenüber gleichgültig. Vielmehr fällt es ihnen schwer, sich an die Vorsichtsmaßnahmen zu halten, weil sie einsam sind. Sie sind traurig, weil sie während der sonst fröhlichen, christlichen Feiertage nicht mit ihren Lieben am weihnachtlichen Tisch sitzen können. Wenn uns Trauer überkommt, unsere Hoffnung erlischt, dann müssen wir uns daran erinnern, dass auch diese Pandemie, dieses Unheil vorübergehen wird. Die Trennung von unseren Lieben ist letztlich nur ein kleines Opfer, ein Zeichen unserer Liebe für andere.

Unser Herr Jesus Christus lehrt: Unsere Liebe soll grenzen- und bedingungslos sein. Es ist wichtig, dass wir uns gemeinsam daran erinnern, dass Weihnachten ein Feiertag des guten Willens und der Liebe ist – der aufopfernden Liebe. Es geht um die Fürsorge für jedes Wesen und jedes Geschöpf, das uns umgibt. Daher rufen wir mit Freude:

Friede Gottes, Christus ist geboren! Er ist wahrhaftig geboren!

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